„Tierarzt ist man nicht von Montag bis Freitag, von 9 bis 18 Uhr.
 Man ist es 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, bei Wind und Wetter“

 

– Zitat meines alten Chefs

Diesem Leitsatz meines Mentors haben wir uns fest zugeschrieben.


Das bedeutet?

Jahrelang habe ich einen 24/7 Notdienst angeboten. Ich war permanent, also IMMER erreichbar, denn diesen Anspruch hatte ich an mich selbst. War nachts für Hunde mit Durchfall, Kaninchen mit Schnupfen, angefahrene Katzen und heisere Wellensittiche da. Sonntags saß ich nicht mit den Schwiegereltern beim Familienkaffee sondern nähte gebissene Katzen zusammen. Mein Kräfte schwanden langsam, meine Kinder entfremdeten sich und eines Tages gab es ein Schlüsselerlebnis, dass mich aufhorchen ließ…

Es war gegen drei Uhr nachts als mein Notfallhandy klingelte. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die mir in aller Ausführlichkeit erklärte, dass ihre Katze seit drei (!) Wochen hustete. Jetzt habe sie auch noch Durchfall. Ob ich ihr nicht sagen könnte, mit welchen Hausmitteln sie was machen könnte. Jetzt in die Praxis zu kommen sei bestimmt teurer als morgen früh. 
(Nun, uns Tierärzten ist es untersagt eine Diagnose per Telefon zu stellen. Dies gilt als Ferndiagnose und ist verboten. Denn wenn der Tierarzt die Situation vielleicht falsch einschätzt, steht er mit einem Bein vor Gericht.) Also bat ich Sie doch das Tier vorzustellen, hier, in der Praxis. Ob es denn nun ein Notfall sei, wüsste Sie nicht genau und ob sie dafür in die Praxis kommen müsste, auch nicht. Da meine Nacht ja sowieso beendet war und sie sich ja anscheinend große Sorgen machte, sonst hätte sie meine Nachtruhe wohl kaum gestört, bot ich ihr an, das Tier jetzt zu untersuchen. Hier, in der Praxis. Nun, ja, also gut, sie wollte sich auf den Weg machen und sei in zwanzig Minuten da. Ich machte mir einen zweiten Kaffee, zog mich um und ging in die Praxis. Auf dem Weg schickte ich die  Kinder wieder in die Betten – nein, Schule sei erst in vier Stunden, weiterschlafen! Nach etwa 45 Minuten des Wartens rief ich bei der Dame an, um zu fragen, ob sie denn noch lange für den Weg brauche. Also, da es der Katze jetzt schon wieder besser ginge, würde sie nicht mehr kommen und morgen zu Ihrer Ärztin fahren. Danke.
Auch Danke!

Ebenso beschwerte sich unlängst eine Besitzerin, sie habe mich mittags, so gegen 14 Uhr, nicht in der Praxis erreicht, obwohl das Auto vor der Tür stand…
Zu meiner Erklärung, bzw. Rechtfertigung: Ich war mit dem Fahrrad und meinem Hund unterwegs, da er auch ab und zu Auslauf braucht.

 

Fazit:

Irgendwie sind Tierärzte doch auch nur Menschen…

Man mag es kaum glauben, Tierärzte sind zwar leidenschaftlich mit Ihrem Beruf verbunden, doch irgendwie sind sie auch nur Menschen. Nix Superkräfte. 
Wenn ich nachts um drei Uhr einer Hündin per Kaiserschnitt geholfen habe, ihre drei Jungen auf die Welt zu bringen, falle auch ich um fünf Uhr totmüde ins Bett. Ja, und dann kann es durchaus passieren, dass ich bis um 8 Uhr morgens durchschlafe und bis dahin nicht erreichbar bin. Oder ich werde nachts von besorgten Besitzern gerufen und mache dann einen Hausbesuch, der mich die ganze Nacht kostet.
Dann erlaube ich mich mir mittags den Schlaf nachzuholen, den ich einfach brauche. Es tut mir leid, wenn Sie mich dann nicht erreichen, obwohl doch das Auto vor der Tür steht. Oder vielleicht bin ich auch einmal zur Fortbildung. Die mache ich, damit ich auf dem aktuellsten Wissensstand bin, was Ihrem Tier zugute kommt. Leider darf ich dann das Telefon nicht angeschaltet lassen. Also bin ich dann nicht erreichbar.
Und es gab auch schon Tage, da war ich krank. Fieber und so.  Da war ich dann weder telefonisch, noch per email erreichbar. So etwas kann passieren. Es darf passieren.

Wer bietet denn sonst Notdienst an?
Wir bieten weiterhin einen Notdienst an.

Halt abgeschwächt. (Siehe unten)

Und wer sonst noch? Das ist das Problem! Ich will es mal so formulieren, dieser Spruch „Geiz ist geil“ hat es nicht besser gemacht. Laut Gesetz müssen Angestellte, die ausserhalb der Sprechstunden, also im Notdienst oder nachts arbeiten, bis zu 100% Aufschlag bekommen. Der Notdienst kostet dem Arzt also in jeder Stunde das Doppelte an Personalkosten. Dies muss er dann zwangsläufig auf den Patientenbesitzer umlegen. Der Patientenbesitzer aber mag sich dann abgezockt fühlen und ist erst einmal verärgert.

Zitat eines Besitzers im Notdienst: Es ist der 26.12., zweiter Weihnachtstag:

„Was wollen Sie haben? Sie Kasper? Sie haben den Hamster angeschaut und gesagt, sie könnten nichts mehr für ihn tun, weil ich hätte zwei Wochen früher kommen sollen. Dann haben Sie ihn eingeschläfert weil er angeblich sehr leidet. Und jetzt soll ich das bezahlen? Nicht geholfen und trotzdem Geld? Dafür (zeigt auf die Rechnung) hole ich meiner Tochter morgen bei ebay fünf Hamster. Du spinnst doch, du Vogel!“.

So tatsächlich in einer sehr guten Klinik passiert. 

Also, Notdienst gern aber bitte nicht so teuer.?!

Hm, wird schwer.

Ein anderes Beispiel: Oft haben wir Sonntags die Familie zusammengesammelt, also Mama, Papa und die drei Jungs. Die Schwimmsachen wurden gepackt und wir haben uns auf einen tollen Tag im Schwimmbad gefreut. Und als die Familie gerade bei 35°C im Auto saß und ich den Zündschlüssen rumdrehen wollte, klingelte mein Notfallhandy. Ein Notfall! Alles wurde abgeblasen. Kein Badespass, kein Eisessen mit Papa, kein Wasserrutschen mit Mama. Papa hat sich lieber um die eingerissene Kralle gekümmert.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jeder von uns wünscht sich im Notfall sofortige Hilfe. Bei uns Menschen gibt es dafür die Krankenhäuser. Und am Wochenende oder nachts die gibt es die Notaufnahme. Doch auch die wird, wie ich in Gesprächen mit Humanmedizinern erfahren musste, immer mehr für Bagatellen mißbraucht. Denn: Lieber zwei Stunden in der Notaufnahme warten als vier Wochen auf einen Termin beim Spezialisten. Die Kosten trägt ja die Krankenkasse. Doch auch hinter diesen Ärzten stecken Menschen. Menschen, die für die wirklichen, lebensbedrohlichen Notfälle kaum noch Zeit haben und die Ihre Familien kaum noch sehen, weil sie durch Schichtdienste und unbezahlte Überstunden ausgelaugt werden.

Also im Zweifel in die Klinik fahren?

Die Auflagen um eine Tierarztpraxis als Klinik bezeichnen zu dürfen, sind hoch. Neben vielen fachlichen Auflagen (fachliche Spezialisierungen, Anzahl der Ärzte etc.), müssen Kliniken unter anderem eine vierundzwanzigstündige Rufbereitschaft zur Verfügung stellen. Das heisst, eine Klinik muss 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr für den Besitzer und etwaige Notfälle bereit stehen. Das kostet! Und da immer weniger Personal bereit ist, trotz 100%igem Aufschlag sich die Nächte und Feiertage um die Ohren zu schlagen, gibt es immer weniger Möglichkeiten den Notdienst aufrecht zu erhalten.

Viele Kliniken und Kollegen haben deshalb, und aus wie ich finde verständlichen, persönlichen Gründen (Stress, keine Freizeit, Familie kommt zu kurz etc.) den Notdienst eingestellt. Es gibt also immer weniger Kliniken, weil es nicht machbar ist den Status Klinik aufrecht zu erhalten! Statt dessen nennt man sich „Kompetenz-Zentrum“ oder „Fachzentrum für angewandte Tiermedizin“. Fast gleicher Inhalt, aber andere Sprechzeiten (keine Notdienste) und weniger Auflagen.

Wir beobachten also ein Aussterben der Kliniken und es wird immer schwieriger außerhalb der Sprechstunden Hilfe zu bekommen – eine logische Entwicklung.

 

Und nun?
Nun ja, wir haben uns für einen Kompromiss entschieden. Wenn Sie einen Notfall befürchten und Hilfe benötigen, können Sie uns per email erreichen. Diese wird dann an mein Mobiltelefon weitergeleitet. Wenn ich nicht verhindert bin (ja, das kann passieren!), melde ich mich unverzüglich bei Ihnen!

 

Hier geht es zur Notfallanmeldung…